Fischer kam am 4. Juli 1972 im Morgengrauen in Reykjavik an und hielt damit das Ultimatum ein, das ihm vom Präsidenten des Weltschachbunds, Max Euwe, gestellt worden war. Aber mittlerweile protestierten die Russen bei Euwe gegen das bisherige Vorgehen und drohten offen mit ihrer Abreise. Boris Spassky und seine Entourage fühlten sich hintergangen und waren mit den Konzessionen, die Fischer eingeräumt worden waren, nicht einverstanden. Sie verfassten ein Protestschreiben, in dem sie auf sowjetisch-bürokratische Weise die Einhaltung des Reglement einforderten. Demnach hätte Bobby Fischer die erste Partie kampflos verloren. Das war ein großes Problem für Max Euwe und den deutschen Oberschiedsrichter des Kampfs, Lothar Schmidt. Einerseits wussten sie natürlich, dass die Russen mit ihrem Protest im Recht waren. Andererseits war ihnen klar, dass Fischer niemals einem Wettkampf zustimmen würde, bei dem er von Beginn an im Hintertreffen war. Es war also höchst unklar, ob der Wettkampf überhaupt zustande kam. Da passierte etwas, mit dem niemand gerechnet hatte.

Fischer brachte einen selbst geschriebenen Brief zu Spasskys Hotel und schob ihn eigenhändig unter der Zimmertür seines Gegners durch. Es war ein Entschuldigungsschreiben. Fischer bat darin um Verzeihung für sein bisheriges Benehmen, das er Spassky und den Organisatoren gegenüber an den Tag gelegt hatte. Durch diese Geste gelang es Fischer, die Situation komplett umzudrehen. Bis jetzt war er der Sonderling, der die Russen und die ganze Welt nervte. Aber durch seine Entschuldigung war er auf einmal ein bedauernswerte Bittsteller, dem die Russen als bürokratisch-kleinliche Paragraphenreiter gegenüberstanden. Spassky sah ein, dass er einlenken musste. Man einigte sich, dass der Wettkampf, auf den die ganze Welt wartete, mit einigen Tagen Verspätung stattfinden sollte. Am 7. Juli sollte ausgelost werden, wer in der ersten Partie weiß haben würde.

Diese Auslosung fand um 20:45 Uhr in dem Saal statt, wo auch später gespielt werden sollte. Es handelte sich um die Laugersdalhöll, die Hallensportarena in Reykjavik, die Platz für 5.500 Zuschauer hat. Am Eingang erinnert noch heute eine Plakette an jene Tage im Juli 1972.

Weil die Organisatoren wussten, wie kritisch Fischer auf Störungen seiner Konzentration reagierte, gab es Schallschutzplatten an der Decke und dicke Teppiche, damit die Geräusche der Zuschauer gedämpft wurden. Aus diesem Grund waren auch alle Klappsitze auf den Zuschauerrängen der Arena durch gepolsterte Sitze ersetzt worden. Obwohl er später häufiger in amerikanischen Talkshows auftrat, hasste Fischer in diesen Wochen Kameras. Deshalb waren die beiden Kameratürme in den dunklen Hintergrund versetzt worden und die Beleuchtung auf der Bühne war verstärkt worden, sodass die Spieler nicht sahen, dass sie gefilmt wurden.

Auf der Bühne hatte man einen Tisch mit Schachbrett und -figuren aufgebaut. Außerdem stand dort für jeden der Spieler ein Stuhl. Spassky und Fischer traten nacheinander auf die Bühne, und das Publikum applaudierte. Spasskys Applaus fiel nach dem bisherigen Hickhack aber lauter und anhaltender aus. Bobby Fischer sah in diesem Augenblick zum ersten Mal das Arrangement, auf dem gespielt werden sollte. Die Auslosung über die Reihenfolge der Farben fand statt – Spassky hatte in der ersten Partie weiß – aber das Publikum achtete nur auf Fischer, der sich auf der Bühne umsah. Er hatte vorab verlangt, dass sein Stuhl – eine genaue Nachbildung des Designersessels, auf dem er während der Qualifikationsphase Tigran Petrosjan besiegt hatte – aus New York eingeflogen werden sollte. Das hatte funktioniert. Aber über den Tisch und die Figuren ist im Vorfeld nicht gesprochen worden. Die Isländer hatten das Möbel eigens von einem lokalen Künstler anfertigen lassen, ohne dies vorab mit Bobby Fischer abzusprechen. Es war ein winkelförmiges Designerstück aus schwerem Mahagoniholz, das rot glänzend poliert war. Cremefarbene Lederbezüge waren an den Ecken eingearbeitet, auf die sich die Spieler stützen konnten. Fischer starrte ungefähr eine Minute auf den Tisch ohne sich zu bewegen. Im Saal wurde es still, so als ob das gesamte Publikum den Atem anhielt und sich fragte, ob Fischer das Möbel wohl akzeptieren oder den Kampf platzen lassen würde. Dann bewegte sich Bobbys Hand langsam zum Schachbrett, bis er schließlich den weißen König liebevoll berührte. So erklärte er wortlos sein Einverständnis, und die Welt atmete auf. Vier Tage später, am 11. Juli 1972 fand endlich die erste Partie statt.

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