Die Schachgemeinschaft Lüdenscheid entstand im Frühsommer 2013 durch die Fusion der beiden Vereine "Königsspringer Lüdenscheid" und "Schachvereinigung Lüdenscheid". Die Geschichte beider Vereine hatte bereits am 13. Oktober 1950 einen gemeinsamen Schnittpunkt. An diesem Tag trennten sich nämlich mehr als 20 Mitglieder von der "Schachvereinigung" und gründeten die "Königsspringer". Bis 1950 gibt es also eine gemeinsame Geschichte, die in diesem Abschnitt der Historie beschrieben wird. Die getrennten Wege ab 1950 bis zur Fusion 2013 werden in den Unterabschnitten "Historie KSL" und "Historie Svgg" dargestellt. Die folgenden Notizen zur Chronik des Schachsports in Lüdenscheid (bis 1950) verdanken wir Ralf Stremmel.
Gründungen vor der Gründung
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, 1859, rief ein "Schachclub" im "Lüdenscheider Wochenblatt" zu einer Generalversammlung auf. Lüdenscheid hatte damals rund 5.200 Einwohner und war eine industriell geprägte Stadt mit zahlreichen kleinen und mittleren Betrieben der Metallverarbeitung.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das moderne Schach geboren. 1851 fand in London im Rahmen der Weltausstellung das erste große internationale Schachturnier statt. Der Breslauer Mathematikprofessor Adolf Anderssen gewann den inoffiziellen Titel eines Weltmeisters. Und 1858 war der legendäre Amerikaner Paul Morphy nach Europa gekommen, um Wettkämpfe gegen die führenden Spieler des Kontinents auszutragen. Der damals 21jährige schlug seine Gegner überlegen. Schach war in der bürgerlichen Gesellschaft dieser Zeit zum Ereignis geworden, und in diesem Kontext ist auch der Lüdenscheider "Schachclub" einzuordnen. Wer damals Schach spielte, brauchte ein gewisses Maß an Freizeit - und er brauchte Geld, kostete doch ein Brett mit Figuren drei bis vier Taler: Das war der Wochenlohn eines Lüdenscheider Fabrikarbeiters.
Wie andernorts auch, war es also mit größter Wahrscheinlichkeit das Besitz- und Bildungsbürgertum, das sich im Lüdenscheider Schachclub zusammenfand, das heißt die Kaufleute, Ärzte, Lehrer und höheren Beamten. Briefen von Unternehmern der damaligen Zeit ist zu entnehmen, daß sie gern und häufig Schach spielten.
Seit wann es diesen Schachclub 1859 schon gab und wie lange er Bestand hatte, weiß man nicht. Jedenfalls kann Lüdenscheid damit einen der ältesten Schachvereine in Westfalen vorweisen. 1882 konstituierte sich dann erneut ein Schachclub, doch auch ihm war offenbar kein langes Dasein beschieden. Eine direkte Linie zur heutigen "Schachgemeinschaft Lüdenscheid" läßt sich nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht ziehen.
Anfänge
Nach mündlicher Überlieferung vergnügte sich die Lüdenscheider Jugend in den Kriegsjahren 1914-18 samstags und sonntags abends im Lehrlingsheim der städtischen Lesehalle. Dort wurde unter der Leitung des Lehrers Drexhagen auch Schach gespielt. Unter den Mitgliedern des Theatervereins, die sich in der Gaststätte "Jägerhof" trafen, fanden sich ebenfalls Schachspieler, die hin und wieder eine Partie wagten.
In den Jahren 1923/24 veranstaltete die Gewerkschaft eine Vortragsreihe, in der Dr. Mark Abramowitsch referierte. Im Anschluß an seinen Vortrag spielte Abramowitsch in Privatwohnungen simultan an zehn oder mehr Brettern. Unter anderem soll in der Wohnung des späteren Oberbürgermeisters Kimmig gespielt worden sein.
Alfred Ohle und der Hotelier Albert Rixen, der sich sein Leben lang für den Schachsport begeisterte, ergriffen schließlich die Initiative zur Gründung eines Schachvereins. Etwa ein Dutzend Interessenten gründeten am 25. Juli 1925 im Hotel Turck den Verein "Schachfreunde". Bald danach wurde Albert Rixen zum ersten Vorsitzenden, Alfred Ohle zum Spielleiter und Karl Ulrich zum Kassierer gewählt.
Eine erste Spaltung: Der "Arbeiterschachverein"
Im Streit um das Spiellokal spaltete sich der noch junge Verein: Unter der Bezeichnung "Arbeiterschachverein" wurde am 17. Februar 1926 ein zweiter Schachverein gegründet. Den Vorsitz übernahm Paul Stahlschmidt, später gefolgt von Fritz Rittinghaus. Der Name des neuen Vereins macht klar, dass die Ursache für die Spaltung der "Schachfreunde" wohl nicht nur in einer Kontroverse über das Spiellokal zu suchen ist. Vielmehr ging es einigen Schachfreunden darum, ihren Sport unter dem Dach der Arbeiterbewegung auszuüben, das hieß konkret: unter dem Dach des Arbeiter-Schachbundes. In den 20er Jahren bemühte sich die Arbeiterbewegung erfolgreich, mit eigenen Sport- und Kulturvereinen ein Gegengewicht zu den tradiotionellen "bürgerlichen" Vereinen zu schaffen. Gerade im industriell geprägten Lüdenscheid besaßen die Parteien der Arbeiterbewegung einen großen Zulauf: Bei den Reichtagswahlen von 1928 kamen sie in der Stadt auf einen Stimmenanteil von 40,8% (SPD) bzw. 9,2% (KPD). Zwar gab es auch bei den "Schachfreunden" Arbeiter, doch hier dominierten eher selbständige Handwerker und Gewerbetreibende, Angestellte und Intellektuelle.
Der Arbeiterschachverein konnte zuerst kaum spielen, weil die "Schachfreunde" das Spielmaterial behalten hatten, und die "Schachfreunde" konnten kaum noch spielen, weil sie fast keine Mitglieder mehr hatten. Deshalb entschlossen sich die "Schachfreunde" im Februar 1927 zu einem neuen Anlauf. Adolf Bodderas, der dem Arbeiterschachverein den Rücken gekehrt hatte, sprach auf Vorschlag von Albert Rixen in den Wohnungen früherer Vereinsmitglieder vor und bewegte die Männer zur Rückkehr. Unter anderen erschienen Spieler wie Ohle, Ulrich, Schiffer, Müsch, Becker und Müller. 1927 waren die "Schachfreunde" auch in der Verbandsorganisation fest verankert: Sie hatten sich dem "Westfälischen Schachbund" angeschlossen und gehörten darin neben Betzdorf, Eiringhausen, Hagen, Hengstey, Niederfischbach, Plettenberg, Siegen und Werdohl zum Schachkreis Südwestfalen.
Erste Wettkämpfe in den 20er Jahren
Die "Schachfreunde" versammelten sich seit 1927 im Hotel "Jägerhof", das ihrem Vorsitzenden Albert Rixen gehörte: ein glücklicher Umstand für den Club. Die ansonsten üblichen Probleme der Schachspieler, geeignete Räume zu finden, gab es in Lüdenscheid nicht. Im "Jägerhof" wurde auch das erste abgehalten. Unter sieben Teilnehmern gewann Ohle nach Stichkampf gegen Rixen und Bodderas. Noch im selben Jahr nahmen zwei Lüdenscheider, Adolf Bodderas und Paul Schiffer, in Bochum am Westfälischen Meisterturnier teil. Ihren ersten Auswärtskampf gewannen die "Schachfreunde" mit 6:2 Punkten gegen Werdohl. Der zweite Kampf ging gegen den Kreismeister Plettenberg verloren.
Im Sommer 1928 sicherte sich Dr. Walter Hueck den Titel im Vereinsturnier. Es sollte nicht sein letzter bleiben. Hueck, Mediziner, Literat und Philosoph in einer Person, stammte aus einer alten Lüdenscheider Industriellenfamilie. Er war nicht nur der damals stärkste Spieler der "Schachfreunde", sondern vor allem auch ein weitherziger Förderer des Schachsports. Welche Bedeutung das Schach für ihn hatte, ist seinem autobiographisch gefärbten Roman "Ein Dilettant des Lebens" zu entnehmen, der allerdings unveröffentlicht blieb.
Vom 27.12.1928 bis 2.1.1929 fand im "Jägerhof" ein inoffizielles Westfälisches Meisterturnier statt, und zwar auf Initiative von Albert Rixen als Gastgeber, Dr. Walter Hueck und Paul Mohwinkel, dem Besitzer des Hotels zur Post. Vor zahlreichen Besuchern zeigte damals die Spitze des westfälischen Schachsports ihr Können. Sieger wurden die Bochumer Herrmann und Kroll. Weitere Teilnehmer waren: Tuschen (Hörde), Skowronek (Wanne-Eickel), Klutke (Altena), Tamm (Betzdorf) sowie Rixen und Gayk (beide Lüdenscheid). Ein Jahr später kam es zur zweiten Auflage des Turniers. Dieses Mal gewann der Siegener Seitz.
Vitalität und Engagement steckten in dem noch jungen Verein: 1930 holte er den Vizeweltmeister Bogoljubow zu einer Simultanvorstellung nach Lüdenscheid. In nur zwei Stunden gewann der hochkarätige Gast 29 Partien und spielte fünf Mal unentschieden. An diesem Tag bezwang ihn niemand.
Der "Arbeiterschachverein" konnte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten ebenfalls gut entwickeln. Unter dem Vorsitzenden Paul Bahl fanden sich unter anderem folgende Spieler ein: Konrad, Killing, Gallowski, Dalhof, Filla, Baumann, Mähler, Kolle, Hugo, und Werner Schlitt (letzterer erst 13 Jahre alt), Grünberg, Budde und Fritz Hörich, der freilich 1931 zu den "Schachfreunden" wechselte. Im Frühjahr 1931 kam es zu politischen Differenzen, die vor dem zeitgenössischen Hintergrund der Konflikte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten zu sehen sind. Rund 20 Spieler verließen den alten, SPD-nahen Arbeiter-Schachclub und gründeten einen zweiten Arbeiterschachverein, der sich ausdrücklich als "Organisation klassenbewußter Proletarier" bezeichnete. Man traf sich im Lokal Koch an der Werdohler Straße. Die kommunistische Arbeitersportbewegung hatte jedoch in Lüdenscheid nur einen geringen Einfluß; neben der "Arbeiter-Schachsport-Opposition", wie sie sich nannte, gehörten ein Fußballverein, ein Radclub, ein Schwimm- und ein Boxverein dazu.
Im "Dritten Reich"
Die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten im Januar 1933 wirkte sich auch auf den Schachsport aus. Im Zuge der "Gleichschaltung" von Verbänden und Vereinen bildete sich im April der "Großdeutsche Schachbund". Propagandaminister Goebbels übernahm den Ehrenvorsitz. Anschließend lösten die Nationalsozialisten die Arbeiter-Schachvereine auf - auch in Lüdenscheid - und drängten die anderen Schachclubs dazu, neue Vorstände einzusetzen. Wollten die "Schachfreunde" weiter existieren, mußten sie entsprechende Zugeständnisse machen. Der erst Mitte Januar 1933 neu gewählte bzw. im Amt bestätigte Vorstand unter Albert Rixen wurde im Mai auf einer außerordentlichen Hauptversammlung komplett ausgetauscht. Auf den inneren Spielbetrieb des Vereins scheint die politische Umwälzung dagegen keinen Einfluß gehabt zu haben.
1935 gründeten frühere Mitglieder der Lüdenscheider Arbeiterschachvereine einen neuen Club namens "Königsspringer". Später rief die NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude", die sich um Freizeitgestaltung und Kulturprogramme bemühte, in Lüdenscheid einen weiteren Schachverein ins Leben: die "KdF-Schachgruppe", die sich dem "Großdeutschen Schachbund" aber nicht anschloß. Dieser trachtete danach, den regionalen Unterbau neu zu ordnen. Beispielsweise wurden die Vereine des Westfälischen Schachbundes 1933 in 13 Großvereine überführt. Einer davon war die "Schachvereinigung Sauerland", geleitet von dem Plettenberger Josef Schmandt. Ihr gehörten im Oktober 1933 zehn Vereine mit 139 Mitgliedern an. Die "Schachfreunde" in Lüdenscheid firmierten zeitweise als "Gruppe Lüdenscheid" dieser Schachvereinigung Sauerland, die sich aber auf Dauer nicht durchsetzen konnte: Die örtlichen Vereine wahrten ihre Selbständigkeit.
Noch im Jahr 1933 beteiligten sich die "Schachfreunde" an zwei nationalen Schach-Werbewochen, und zwar mit Simultanvorstellungen, Blitzturnieren, einem Preisausschreiben und einem "Bunten Abend" unter Beteiligung des Oberbürgermeisters Schneider. An den Vereinsturnieren in dieser Zeit nahmen rund 30 Spieler teil. Zu den stärksten gehörten nach wie vor Dr. Hueck, Ohle und Hammer. 1936 stieß noch Franz Stangassinger aus Plettenberg dazu. Er gewann 1940 in Bochum die Südwestfalenmeisterschaft und erreichte bei der anschließenden Westfalenmeisterschaft in Bad Oeynhausen hinter Zielonka (Gelsenkirchen) einen hervorragenden zweiten Platz.
Am 22. Mai 1943 gastierte der Weltmeister, Dr. Alexander Aljechin, in Lüdenscheid. Willi Jopke, der damals die Geschicke der "Schachfreunde" lenkte, begrüßte Aljechin am Bahnhof und begleitete ihn zur Gastwirtschaft Streppel, wo der Weltmeister eine Simultanvorstellung gegen Spieler aus dem Schachbezirk Sauerland sowie aus Siegen und Menden gab. Aljechin holte 26,5:3,5 Punkte. Ein Remis gelang Gallowski, Hammer, Knauf, Petri und Trapp. Decker (Siegen) erzielte den einzigen vollen Punkt.
Wiederbeginn
Mit Kriegsende und Besatzung erlosch zunächst das Lüdenscheider Schachgeschehen, doch sobald sich das tägliche Leben wieder einigermaßen normalisiert hatte, fanden sich Enthusiasten, die sich um das Wiederaufleben des Schachs bemühten. Hauptsächlich war es der Initiative von Otto Baumann und Alfred Strombach zu verdanken, daß sich die Mitglieder der früheren Vereine "Schachfreunde", "Königsspringer" und der "KdF-Schachgruppe" in der Gaststätte Streppel zu einem neuen Großverein zusammenfanden, der "Schachvereinigung Lüdenscheid". Im Hintergrund hatte auch der Schachverband Druck ausgeübt: Er ließ pro Stadt nur einen Verein zu den Turnieren zu.
Mit 39 Teilnehmern begann noch 1945 das erste Vereinsturnier, das von Otto Ogrzall knapp vor Gustav Schönewolf gewonnen wurde. Die nächste Vereinsmeisterschaft, von Mai bis Oktober 1946 ausgetragen, sicherte sich Ogrzall wiederum, dieses Mal punktgleich mit Kurt Bunge. Am Vereinsturnier von 1949 beteiligten sich 52 Aktive. Bereits am 7.10.1945 kam der erste Vergleichskampf zustande. An 32 Brettern trat die Schachvereinigung gegen "Anderssen Weidenau" an und gewann deutlich mit 20:12 Punkten. Als die üblichen Ligen wieder gebildet wurden, fand sich die Schachvereinigung Lüdenscheid bald in der höchsten Klasse des Schachverbandes Südwestfalen, zeitweilig sogar mit zwei Mannschaften.
Zum Vorsitzenden der "Schachvereinigung" wurde 1946 Alfred Mähler gewählt. Von 1947 bis 1950 übernahm Eckart Werner, 1951 Beppo Roos, 1952 Kurt Bunge und 1953 Werner Schlitt dieses Amt. Spielleiter war Otto Baumann, und zwar von 1945 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1951.
Im Jahr 1948 hatte die Schachvereinigung ihren ersten Höhepunkt erreicht. Sie zählte 150 Mitglieder. Dieser Höhepunkt war gleichzeitig ein Wendepunkt: Mit der Währungsreform stabilisierten sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Viele Mitglieder mußten sich eine neue Existenz aufbauen, und vielen, die jetzt wieder Arbeit fanden, fehlte die freie Zeit zum Schachspielen. In den Jahren des Wiederaufbaus standen andere Dinge im Vordergrund als der Sport.
Am 23. September 1950 feierte die Schachvereinigung ihr 25jähriges Jubiläum. Am Vorabend spielte der 86jährige internationale Schachmeister Jacques Mieses an zwanzig Brettern simultan. Einen Vierstädtekampf gewann Weidenau vor Lüdenscheid, Gladbeck-Zweckel und Bochum-Gehrte. Die Schachvereinigung zählte damals noch 70 Mitglieder.
Im Herbst trennten sich mehr als zwanzig Mitglieder von der "Schachvereinigung" und gründeten am 13. Oktober 1950 einen neuen Club namens "Königsspringer". Ab diesem Zeitpunkt gehen die "Schachvereinigung" und die "Königsspringer" getrennte Wege, ehe sie im Jahr 2013 wieder fusionieren: Die Schachgemeinschaft Lüdenscheid wird geboren!